Kapitel 1 , 2

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Professor Heinrich Ömmel stand auf und legte ein neues Stück Buchenholz in den Kamin. Dann setzte er sich zurück in seinen Sessel und beobachtete, wie sich die Flammen an dem Scheit hochfraßen.
Heinrich Ömmels Gedanken wanderten wieder zu seiner Gattin. Wehmütig dachte er an die Anfänge ihrer Beziehung. Wie hatte Jasmin ihn damals hofiert und verwöhnt. Er hatte sie auf einer Dienstreise kennen gelernt. Sie hatte in München als Domina in einem entsprechenden Etablissement gearbeitet, und Ömmel hatte ihr Leistungsangebot zu schätzen gewusst. Er hatte ihr zwischen den verschiedenen Positionen prahlerisch von seiner eigenen beruflichen Position erzählt und auf diese Weise ihre Begehrlichkeit geweckt. Sie sah in ihm die große Chance, sich aus ihrem misslichen Gewerbe zu befreien, zumal es mit ihren Brüsten ohnehin langsam bergab ging.
Die Interessen der beiden überschnitten sich. Er wollte ein zweisames Leben führen und suchte eine attraktive Frau an seiner Seite.
Sie wollte in die bessere Gesellschaft und suchte einen reichen Mann an ihrer Seite.
Sie hatte mit ihm das große Los gezogen.
Er hatte mit ihr ähnliches Glück gehabt wie mit seinen Lehman-Zertifikaten.

Das Feuer des Kamins wärmte Ömmel wenigstens ein bisschen von außen. Er griff nach einem Buch von Bruno Brand-Stifter. Bruno war sein Nachbar und schrieb Kriminalromane und Drehbücher.
Brand-Stifter konnte nicht sonderlich gut schreiben, aber er hatte die richtige Gesinnung. Die Reichen waren die Bösen, die Frauen die Guten. Neuerdings baute er auch gerne einen dümmlichen Neonazi ein, das gab zusätzlich öffentliche Fördermittel.
Bruno Brand-Stifter malte stets mit konturenlosem Schwarz-Weiß ein dumpfes Links-Rechts-Schema. Seine politischen Botschaften waren einfältig. Seine Drehbücher fanden besonders bei der öffentlichen-rechtlichen Anstalt des Stadtstaates B. großen Anklang, weil deren Einfaltspinsel die Bösebuben-Litanei für Sozialkritik hielten. (Eine vollständige Namensnennung scheint an dieser Stelle aus rechtlichen Gründen nicht angebracht.)
Ömmel las ein paar Seiten in Brand-Stifters Buch, in dem sich schlichte Sprache und kärgliche Handlung genial ergänzten. Er nahm einen weiteren Schluck aus seinem Weinglas, um die Wirkung des Romans erträglicher zu gestalten. Aber es nützte nichts. Er legte die Schwarte wieder zur Seite und nahm sich eines seiner Pornohefte aus dem geheimen Fach im Bücherregal hinter der Propyläen Weltgeschichte. Aber selbst seine Begierde nach Sado- Maso-Spielchen quälte ihn nicht mehr so wie früher. Das Leben konnte sadistisch sein.

Das Holz knisterte im Kamin und verlieh dem Raum eine behagliche Atmosphäre. Plötzlich knackte es irgendwo im Haus. Ömmel schreckte in seinem Ohrensessel hoch. Er musste eingenickt sein. Ob er sich getäuscht hatte? Ob er geträumt hatte?
Der Preis für die Abgeschiedenheit seines Anwesens war die erhöhte Einbruchsgefahr, der er aber als erfahrener Kriminologe durch ein ausgeklügeltes Sicherungssystem begegnet war.
Hier kommt so schnell keiner rein, beruhigte er sich. Es sei denn….

Irgendwo knackte ein Schloss. Ömmel saß kerzengerade in seinem Sessel. Er hatte sich doch nicht geirrt. Da war jemand. Sein Herz begann zu rasen. Mühsam versuchte er, Herr seiner aufgeschreckten Gedanken zu werden. Vielleicht war seine Frau früher zurückgekommen? Oder das Dienstmädchen?
Er zwang sich aufzustehen, um nachzusehen, woher das Geräusch gekommen sein könnte. Fahrig warf er sein halbvolles Weinglas um. Der Reflex, das Malheur aufzuhalten, schlug fehl.
Angst stieg in ihm hoch. Er stolperte über ein Holzscheit vor dem lodernden Kamin. Er stürzte.
Als er sich aufrappeln wollte, sah er, wie die Klinke heruntergedrückt wurde. Er blieb am Boden hocken und starrte wie hypnotisiert auf die Tür, die sich langsam öffnete.
Ein Mann stand vor ihm, eine Pistole in der Hand. Ömmel sah dem Fremden ins Gesicht und es war ihm, als ob er ihn schon mal gesehen hatte.
Das Schloss der Waffe knackte. Der Fremde zielte auf den Schlotternden.
„Setzen Sie sich!“ befahl der Mann tonlos.
Ömmel erhob sich vorsichtig aus seiner Bodenlage und ging mit tastenden Schritten rückwärts. Sein Blick war gebannt auf die geladene Pistole gerichtet. Dann ließ er sich in den Sessel plumpsen.
Der Fremde war in angemessenem Abstand gefolgt. Er ließ Ömmel nicht aus den Augen und schien selbst zu zittern.
Der Alptraum hatte begonnen.

 

 

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Von Dr.Jörg Hellmann

Ex-Pauker, Ex-Fußballer, Ex-Tennisspieler, Golfspieler. Studierender des täglichen Lebens und der sich darin abstrampelnden Menschen. Darüber schreibe ich.